Die Kunst des psychologischen Spiels anhand der DREI SCHWESTERN von A.Cechov

Ein Spiel, das sich in der Seele des Spielers entfaltet. Wie entsteht eine wirkliche, innere, seelische Bewegung, die nicht aus dem Kopf, der Ratio oder einem vorher festgelegtem Konzept kommt, wodurch wird sie angestoßen? Durch das Ausgangsereignis eines Stückes. Es funktioniert wie ein Trampolin. Wenn wir lernen, eine Situation zu verstehen und dann konfliktreiche Umstände für unsere Rolle und das Stück geschickt auszuwählen, werden wir diesen Impuls, der weder chaotisch ist noch beliebig, für uns entdecken können. Aber wie wähle ich aus? Was sind meine Kriterien?

In diesem Treffen vermittelt Judith von Radetzky anhand von A. Tschechovs modernem Klassiker die Grundlagen des psychologischen Spiels, das seinen methodischen Ursprung in der russischen Schule hat.

Theater als Musik

Wenn wir einer Unterhaltung in einer unbekannten Sprache zuhören, wir also nicht in der Lage sind den Inhalt aus den Worten heraus zu bestimmen, können wir meistens dennoch den Humor und den Sinn dieser Konversation erraten. Ebenso könnten wir von weit weg, hinter einer Mauer stehend, aus dem Ton der menschlichen Stimmen erkennen, ob es sich um einen Dialog, um eine Erzählung oder um eine Lesung mit lauter Stimme handelt.

Es sind die Intonation, die die Hauptrolle in der menschlichen Sprache spielen, und eine ausschlaggebende Rolle bei der Bestimmung des Sinns; sie bestimmen den exakten und wahrhaften Inhalt eines Diskurses.

Dieses Seminar richtet sich an alle, die ein Interesse daran haben, Sprechen als einen Akt, eine musikalische Handlung jenseits des Alltags auf der Bühne, neu zu entdecken.

Zeit
vom 19.3. bis 25.3., tägl. Von 11- 13.30 und 14.00 –16.30, 7 Tage insgesamt

Preis
Kosten -keine, eine Spende an den Verein wird gern gesehen.

Ort
Nikodemus
Nansenstr. 12/13
12047 Berlin-Neukölln

Anmeldung/Bewerbung
an Judith von Radetzky
info@graphit-berlin.de

Grafiken: Baptiste Hersoc (www.baptistehersoc.com)

DIALOGE ZUR KUNST – Video

DIALOGE ZUR KUNST

Platon – Ion

László Krasznahorkai – Ein Mörder wird geboren

Heinrich von Kleist – Über das Marionettenthetater

Regie Judith von Radetzky

Musik Kamil Tchalaev

Es spielen

Mathias Hörnke und Lars Jokubeit (Platon)

André Scioblowski (Krasznahorkai)

Stephan Maria Fischer und Anja Marlene Korpiun (Kleist)

Vom 11.-18. Dezember 2010 fanden fünf öffentliche Proben in den Uferstudios in Berlin-Wedding statt.

Nach dem Ansatz der Probenmethodik der Etüde, die Graphit Theater Labor erforscht, ändert sich die Arbeit der Schauspieler nicht wenn Zuschauer dazukommen. Der Spieler sucht jedesmal neu im Moment. Mit den Zuschauern wird aus einer persönlichen eine öffentliche Suche. Der Zuschauer ist dann in der gleichen Weise an der Suche im Moment beteiligt. Der Weg der Suche ist jedesmal anders. Dadurch nimmt jede Probe/Aufführung einen ganz eigenen Weg entlang der Struktur und immer wieder Neues entsteht.

Das Video zeigt Ausschnitte aus dem Dialog „Ion“ von Platon.

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=g1AhPoESkMI&w=425&h=349]

Das Titelfoto ist ein Kunstwerk von Christoph Mause.

DIALOGE ZUR KUNST – Zuschauerkritik

Dialoge zur Kunst

am 12.12.2010

Ein kühnes Unternehmen, theoretische, wenn auch dialogisch gehaltene Texte zur Kunst in den Theater-Raum zu stellen. Und…es ist gelungen!

Sokrates und Ion fechten einen zähen Zweikampf aus. Am Ende kann man sich vorstellen, dass – wie man sich erzählt – Ion zu denen gehört, die Sokrates den Schierlingsbecher gereicht haben. Matthias Hörnke und Lars Jokubeit ziehen den Zuschauer ganz und gar in ihren Bann, lassen Gedanken Gestalt werden im Raum, lassen durch die Intensität des Spiels auf der Beziehungsebene kaum spürbar werden, dass Platons insistierende Mäeutik ziemlich entnervend ist.

An die Stelle des Goethe-Textes tritt – zum Glück – André Scioblowski mit einem inneren Monolog nach einer Erzählung des ungarischen Autors Kraznahorkai, an dessen Ende der Zuschauer mit der Figur in einem unerträglichen Gefühl von Fremdheit zu Boden geht, und das, nachdem er endlich eine einzige Tür in dieser Welt offen findet, die zu einer Ausstellung von Ikonen. Wie Kunst auch zerstörerisch sein kann, erlebt der Zuschauer in diesem Spiel von großer Intensität.

Beinahe abrupt und befreiend entführen Anja M. Korpiun und Stephan Fischer mit dem Dialog über das Marionettentheater in die Welt der Leichtigkeit und Anmut. Mit Charme und Witz vermitteln sie die Erkenntnis, „welche Unordnungen, in der natürlichen Grazie des Menschen, das Bewusstsein anrichtet.“ (Kleist) Da sie doch keine Marionetten sind: ob ihr Bewusstsein wohl durch ein Unendliches gegangen ist?

Die minimalistisch eingesetzten Klänge und Töne des Musikers Kamil Tchalaev rhythmisieren, pointieren und erzeugen durchgehend eine vibrierende Spannung.

Man möchte sehr vielen Zuschauern diesen schönen Kunstgenuss im gar nicht so fernen Wedding gönnen.

Marianne Geist

DIALOGE ZUR KUNST – Kritik (Neues Deutschland)

14.12.2010

SPIEGELFECHTEREI

Der Raum in den Uferstudios erinnert an ein Klassenzimmer: Neonlicht, hoch angebrachte Fenster, Linoleumboden. Die Zuschauer sitzen entlang der Wände auf Klappstühlen, lauschen und gucken. Und versuchen nicht den Anschluss zu verlieren, denn es sind schon harte Brocken, die Regisseurin Judith von Radetzky und ihr Graphit-Theaterlabor dem Publikum da zum (geistigen) Kauen vorgeworfen haben: Anhand dreier »Dialoge zur Kunst mit Klavier und Trompete« geht das Ensemble der Frage nach, ob es möglich ist, ein Künstler zu sein.

Eine eindeutige Antwort findet der Abend nicht, zumal schnell feststeht, dass hier nicht eine fertige Inszenierung gezeigt wird, sondern eine öffentliche Probe an der Grenze zwischen Improvisation und vorgegebener Struktur. Judith von Radetzky, deren Methodik geprägt ist von der russischen Schule der Etüde, sieht ihre Produktionen im steten Wandlungsprozess begriffen und setzt auf die Kraft des Austauschs zwischen Schauspielern und Publikum – hier begleitet von avantgardistischen Trompeten- und Klavierklängen des Musikers Kamil Tchalaev.

Ursprünglich sollten die »Dialoge zur Kunst« Texte von Platon, Goethe und Kleist beinhalten. Doch da Darsteller André Scioblowski aufgrund privater Probleme wenig Zeit zum Proben blieb, wurde der Goethe-Dialoge ersetzt durch einen wunderbaren Monolog aus László Krasznahorkais Novelle »Ein Mörder wird geboren«. Eine gute Entscheidung, denn der zwischen absurder Tragikkomik und bitterem Zynismus schwankende Text des ungarischen Autors scheint dem hoch gewachsenen Scioblowski wie auf den Leib geschrieben.

Zudem holt der Funken sprühende Monolog die Zuschauer aus der Starre, in die der lange Auftakttext von Platon sie versetzt hatte. In »Ion« lässt Platon den Philosophen Sokrates mit dem kindlich-selbstzufriedenen Vortragskünstler Ion darüber diskutieren, ob Ions rhetorische und schauspielerische Fertigkeit göttlich inspiriert sind. Die beiden Darsteller agieren großartig und genießen ihre intellektuelle Spiegelfechterei sichtlich, doch ist das Streitgespräch als Einstieg schlicht zu kompliziert. Trotzdem: Wie Sokrates, den Matthias Hörnke als geistig überlegenen Künstlertyp im grauen Sakko gibt, den philosophisch unbeleckten Ion – von Lars Jokubeit dargestellt als eitler Mitte-Yuppie mit Hang zum Posieren – mehr und mehr in die Enge treibt, ist ein wunderbares Beispiel für edle Streitkultur.

Der letzte der drei »Dialoge« stammt von Kleist, dessen Essay »Über das Marionettentheater« die Grundfrage variiert, ob Gefühl oder Vernunft das Verhalten des Menschen steuert. Unübersehbar erotisch aufgeladen ist die Begegnung zwischen dem »Vernunftmenschen« Stephan Maria Fischer und der schönen Anja Marlene Korpiun als Tänzerin in geschlitztem weißen Kleid, die in der Quintessenz mündet, dass sich wahre Perfektion »nur in einer Puppe oder einem Gott« manifestiere.

Zusammen ergeben die »Dialoge zur Kunst« anspruchsvolles Theater, ästhetisch dargeboten – und passen somit gut in die Uferstudios, die sich mehr und mehr zu einer Tanz- und Theaterstätte außerhalb typischer Schubladenzuordnung entwickeln.

Anouk Meyer