Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sie macht sichtbar (Paul Klee)

Zeitdokumente – Ansichten im Wandel der Zeit (2010)

Ich gehe gern ins Theater, weil….

Mir fehlt im Theater, dass..

Die meisten von uns haben die Erfahrung gemacht, dass alte und neue Musik, Malerei und Skulptur etc. heute  wie eh und je eine geistige und emotional stimulierende Wirkung auf den Zuhörer/ Betrachter haben, das erfährt man ganz direkt am eigenen Leib. Eine intensive Erfahrung.

Die zeitgenössische Kunst will aufdecken, sichtbar machen, was sich versteckt. Aber welche Realität wird sichtbar gemacht? Eine fundamentale Frage. Im Theater- wo zumeist immer noch auch gesprochen wird – scheint es viel schwieriger zu sein, zu entscheiden, um welche Wirkung es gehen soll, da das Wort ausspricht, was wir in der Malerei oder der Musik nur sehen, empfinden oder hören. Tendenziell werden Antworten geliefert von der Bühne zum Zuschauer. Wir ziehen gedanklich unsere eigenen Schlüsse, wir sind frei in der Interpretation und ob wir die Antwoten annehmen oder nicht. Wir bilden uns eine Meinung.
Um den immer wieder gleichen Geschichten der klaasichen Literatur zu entkommen, gibt es die Tendenz auf das Wort weitgehend zu verzichten oder es zu reduzieren, oder zu bebildern und zu illustrieren. Oder es im Spiel nüchtern oder schreiend heraus zustoßen, um neuen Sinn zu öffnen. Es entsteht eine Wirkung, die man mit Schock bezeichnen kann. Das ist an und für sich nichts Neues, denn in alten Zeiten war das die Katharsis.

Ein routiniertes Museumstheater ist unerträglich, selbstverständlich. Es hat ausgespielt, Deklamation als Sprachgestus kann man nicht mehr ertragen. Mit Recht sucht man sehr dringend Alternativen, Innovation ist der künstlerische Motor seit Jahren. Aber was bedeutet Innovation in der Tiefe? Was ist ein kathartischer Schock? Wird der Schock selbst zur Mode und verliert so seine Wirkung und wird letztendlich zu einem opportunistischen Akt? Wird vielleicht nur an der Oberfläche gesucht? Oder nur in der Form? Alte Tragödien und dramatische Stücke werden als Assoziationsmaterial genutzt, um neue Sinnbezüge herzustellen, sie werden dekonstruiert oder nur bebildert, sie werden im Alltagsrealismus verortet, um das heutige politisch-gesellschaftliche Leben zu beleuchten; es passiert auch, dass alte Vorlagen in öffentlichen Diskussionen geschmäht werden als langweilig und zum 1000 sten Mal gespielt, sie sind es wert in den Müllhaufen der Theatergeschichte geworfen zu werden. Sie sagen uns heute nichts mehr. Denn wer will schon wieder einen neuen Hamlet sehen?
Aber ist ein Text nur Buchstaben, die auf weißem Papier gedruckt sind? Nein, deswegen muss diesen Buchstaben im Spiel ja Leben eingehaucht werden. Aber welches Leben? Welcher Mensch steht auf der Bühne? Einer, der Sinn durchdrungen hat oder einer, der Marionette eines Konzepts ist?
Konzepte sind immer subjektiv. Die Frage, die sich stellt ist, gibt es etwas objektives? Versteckt sich hinter den Worten ein unsichtbarer Text, der nicht ohne weiteres sichtbar ist, eine zweite Ebene? Und ist nicht eigentlich das das Innovative, diese zweite Ebene zu erkennen und für unsere heutige moderne Zeit aufzudecken? Die russische Schule verortet etwas Objektives in einem dramatischen Werk – die Transversalaktion. Ohne sie können wir das Werk nicht ergründen, nur interpretieren. Zwei grundsätzlich verschiedene Wege.

Das Theater wird zum Spiegel der Gesellschaft – anything goes. Sinn, Leben, Kunst ein Spielball. Und was wird dabei aus dem Menschen, der doch im Zentrum des Theaters steht? Er wird zu einem Hampelmann. Gefühllos, kalt, egoistisch, er ist ein Gefangener seiner Triebe und Zwänge. Wahrscheinlich ist er das auch! Theaterrealität spiegelt die Lebensrealität eins zu eins. Das ist eine Tatsache, ein Aspekt von LebensRealität –  Aber die einzige?

Weht uns aus diesem antiquierten Haufen der dramatischen Stücke nicht ein universeller Geist an, der den Menschen in seinen kosmischen Zusammenhang stellt? Ein Zusammenhang , den wir vollkommen verloren zu haben scheinen.

Was für ein Menschenbild kreiert das Theater….? Verweist es auf den Hampelmann oder den fähigen Menschen? Welchen Spiegel will es vorhalten? Ist der Fähige ein Ideal oder genauso Tatsache wie der Unfähige und Unvernünftige?

Neulich sah ich einen Bericht über Gärten in Berlin. Eine alte Bosnierin, ein Kriegsflüchtling, die am Gleisdreieck Gemüse pflanzt sprach: in Bosnien ist Erde, hier ist Erde, dort hatte ich meinen Garten, hier habe ich eine Garten, Erde ist Erde. Ich bin froh.

Eine Fähige.

copyright jvr