Zuschauer Feedback zu ‚Warum gerecht sein? Eine Performance der Widersprüche

Zuschauerkommentar und Diskussionspartner nach der Aufführung, Dr. Johannes Hillje

Politik- & Kommunikationsberater:

Was Platon uns in diesem Stück über die Kunst der Rhetorik lehrt, könnte aktueller kaum sein. Auf Instagram, im Fernsehen oder der Zeitung erleben wir eines jeden Tag: Politische Kommunikation ist nicht allein die Vermittlung von Politik, sondern vielmehr die Überzeugung für eine bestimmte Politik.

In diesem Sinne ist Politik ein rhetorischer Wettbewerb um Themen, Deutungen, Definitionen, Werte, Narrative, Identitäten. In diesem Wettbewerb wird Wirklichkeit verhandelt, Vertrauen verteilt, und ganz entscheidend: Gerechtigkeit definiert. Wie wichtig die Deutungsmacht über Werte wie beispielsweise Gerechtigkeit und Freiheit ist, zeigt auch der Aufstieg (rechts-)populistischer Kräfte, die ebene jene Werte für ihre demokratiefeindliche Politik in Anspruch nehmen. Heute würde Platon den Demokrat-innen und Demokratie vielleicht sagen: ‚Ihr müsst Eure Werte überzeugender erklären!‘ Die Rhetorik-Performance ist daher eine wichtige Erinnerung an die Bedeutung von Sprache und Kommunikation in unserer demokratischen Gesellschaft.

Zuschauerkommentar von Andrea Knörr:

Das war mal ein Abend! Wortgewaltiges Schauspiel über die Macht der Sprache aus zwei klugen, sehr verschiedenen Blickwinkeln. Die anschließende Publikums-Diskussion mit den Machern des Stückes zeigte mir die Parallelen zur aktuellen Politik/Situation in Deutschland auf. Frappierend! Sehenswert!

`Die Oppelts haben Ihr Haus verkauft´/ Kritiken / Tams Theater in München noch bis 5.12. 2015

 

Verehrtes Publikum!
Am 19.11. hatten „Die Oppelts haben ihr Haus verkauft“ von David Gieselmann im TamS Theater München Premiere.
Mathias Hejny (Abendzeitung) erlebte die Schauspieler der „schrulligen Komödie“ „ansteckend gut gelaunt“ . Malve Gradinger (Münchner Merkur) erfand eigens für das „psycho-surreale Verwirrspiel“ den Begriff des „Esotero-Comic-Gewölks“ und sah „eine schräge Spaßgeschichte“. C.M.Meier (Theaterkritiken) war von der angedeuteten Quantentheorie begeistert:  “ Im zeitgemäßen Theaterstück von David Gieselmann, in dem  ein Vielleicht ausgebreitet  wurde, kann Aufklärung unterhaltend stattfinden. Die skurrile Metaphysik setzte die Regisseurin Judith von Radetzky fantasievoll in  absolut entsprechenden Bildern um. Überboten wurden die Inszenierung  von den lebensnahen Schauspielern – grandios amüsant.“

Veronika Dimmer zuletzt beschrieb die Premiere als einen „fabelhaft komischen Abend über Glücksvorstellungen, Lebenspläne und die fatale Mischung aus Spiritismus und Ökonomie. Die Schauspieler wechseln spielend die Zeit- und Handlungsstränge, bis sie sich am Ende lustvoll im selbst gesponnenen Netz verstricken.“
Aber am besten machen Sie sich selbst ein Bild. Noch bis zum 12.12. ist das möglich immer Mi bis Sa, 20.30, Reservierung 089 – 34 58 90 · tams(et)tamstheater.de

Zuschauerkommentare zu Maß für Maß – Stadtteilprojekt im Gemeinschaftshaus Gropiusstadt

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Oliver Tettenborn, Görlitz Judith von Radetzkys Inszenierung ist es gelungen, etwas in die Form eines guten, bewegenden Theaterabends zusammen zu führen, was sich oft in verfeindeten Lagern ideologisch verbarrikadiert: Auf der einen Seite psychologisches Solisten-Theater mit großen Monologen, andererseits fast Marthalernde musikalische und choreographisch gemalte Ensemble-Tableaus, die ironische Distanz und Verfremdung schaffen; einerseits professionelle Solistenkunst, andererseits Liebhaber und engagierte Laien, ohne dass die einen die anderen bloßstellten oder zur Staffage herabspielten; einerseits den Blick in die mögliche Tragik und die offensichtlich zweifelhafte „Happyendigkeit“ des Happy Ends, andererseits der Mut, auch einmal komödiantisch über die Stränge zu schlagen. Gropius muss sich nicht schämen, in „seinem“ Kulturhaus ein solches Stück von Oben zu sehen…..

Bertil Wewer, BVV Neukölln/Grüne, Shakespeare im Gemeinschaftshaus Gropiusstadt. Die Staffel mit der überaus sehenswerten Shakespeare – Inszenierung „Allen eine Chance – Maß für Maß“ ging heute im Gemeinschaftshaus Gropiusstadt zu Ende. Die Aufführung dieses Stadtteilprojekts war richtig „großes Theater“. Schade nur, dass das Stück nicht länger aufgeführt wird. Hier gibt es wenigstens einen Trailer.

 Trailer Maß für Maß

Sabine Jung, Schauspielerin, Köln. Dieses Vorhaben hat gezeigt, dass es sich lohnt ein künstlerisch professionelles Projekt an einem Ort wie dem Gemeinschaftshaus zu machen und zu zeigen. Shakespeares Theater war Volkstheater, in dem besonderen Sinne, dass er für Menschen und zugleich große Literatur schreiben konnte. Dass die Zeit damals Shakespeare hervorbrachte, heißt ja auch, dass dieses Publikum Shakespeare hervorbrachte. Auch in der Gropiusstadt wurde ein Publikum hervorgebracht und das Bedürfnis nach mehr geweckt, das konnte man fühlen, sehen und hören. Es bedürfte hier einer ernsthaften Kontinuität und des Vertrauens in die Theaterkunst. Einer Theaterkunst, die Menschen, Zuschauer und Macher erreicht und nicht langweilt, mag nicht mehr selbstverständlich sein, ist aber um so wichtiger, speziell für einen kulturell benachteiligten Stadtteil wie die Gropiusstadt. Theater als Lokaltermin: als ein Ort der Solidarität, der Menschlichkeit, der Integration und Empathie.

Collage: Monika Küßner

Tür auf, Tür zu – Kritik

Süddeutsche Zeitung
Der Abend ist ein Triumph des ‚armen‘ Theaters und der Verwandlungskunst. Vor allem der von Lorenz Seib. Als Chor stellt er sich vor, der aus Spargründen sämtliche Nebenrollen mit übernimmt. Und das sind in Ingrid Lausunds ‚Tür auf, Tür zu‘ eine Menge. Denn es geht um die hektischen Kontaktimprovisationen des gesellschaftlichen Lebens, um das ‚Du auch hier?‘ und das Wir-sind-ja-alle-so-Wichtig derer, deren Seelenheil vom Dazugehören abhängt. Anneliz ist so eine und hat in Gestalt von Katja Amberger gerade ein Bündel von Party-Begegnungs-Quickies mit Burchard Dabinnus und dem multiplen Seib absolviert, als sie beim Luftschnappen ausgesperrt wird: ‚Die Tür ist zu!‘ Nun steht sie also wie Kafkas Herr K. vor dem Türhüter. In einem Draußen, das im TamS anfangs noch freundlich ist, weil die Kollegen zärtlich quaken und Anneliz“ nackte Füße massieren. Doch die beiden Herren kontrollieren auch den Eingang ins Allerheiligste oder kommen höchst unerbaulich als schrille Dumpfbacke oder depressive Mützenhäklerin durch eben jene Tür, die ihr selbst verschlossen bleibt.(…)

Gerade, als man sich nach mehr Konkretheit in Anneliz“ Absturzgeschichte zu sehnen beginnt, läuft die klug zwischen hysterischer Hyperventilation und Ernst ausbalancierte Inszenierung Judith von Radetzkys in einer konzentrierten Persiflage erfolgreichen Lebens aus. Und auch die kommt ganz aus der Kraft des Spiels und der Imagination. Sabine Leucht

Theaterkritiken MÜNCHEN:
TamS Tür auf, Tür zu von Ingrid Lausund
„Ausgeschlossen!!!

… dass es tatsächlich so ist.“ So oder so ähnlich könnten die Gedanken des Zuschauers zwei Reihen vor meinem Sitzplatz gelautet haben. Es war ein großer Mann, sein Habitus drückte machtvolle erfolgsgewohnte Präsenz aus, trat deutlich hervor. „Es hat alles seine Ordnung, und Ordnung muss sein!“ „Um jeden Preis?“, würde ich den Mann fragen. „Auch um den Preis des Lebens, der Lebendigkeit … „
Ingrid Lausund, die Autorin des Stückes, richtete ihren Blick auf die Realität bevor sie, sicherlich mit Fantasie und künstlerischem Geschick, einen gesellschaftlichen Vorgang herauskristallisierte und in theatrale Form brachte. Dies ist ihr nun wahrlich gelungen und Ernsthaftigkeit und Humor halten in dem Stück „Tür auf, Tür zu“ einander die Waage. In einer Fülle von kurzen Dialogen, die auf die immer gleichen, doch wesentlichen Worte beschränkt, eine Flut von Bildern vor dem Zuschauer auftun. Die Ouvertüre: Ein Sprachspiel mit dem Titel, vorgetragen vom Chor. Burchard Dabinnus und Lorenz Seib, die Schauspieler, empfingen mit kleinen großen Gesten und mit Augenzwinkern, Stolpern und Tanzschritten umgarnten sie das Publikum. Burchard Dabinnus verkörperte den unnahbaren Türsteher, der stets unbeeindruckbar das Geschehen kommentierte. „Tür auf, Tür zu. … Tür auf, Tür zu.“ Bekleidet mit Frack höchst formell, lugten doch ein paar Federn aus seinem Ärmel. Die Federn seiner Natur, die den freien Flug hier wohl vergeblich suchen. Die geschlossene Gesellschaft beschäftigte ihn als Wächter, Warnrufer. Lorenz Seib hingegen kamen die 47 Nebenrollen, welche Mann heute zu spielen hat, zu. Brillant schlüpfte er bisweilen in Sekundenschnelle von einer in die nächste. Der Partygast, der Kollege, der Bekannte, der Praktikant, der Kellner, der Coach. Flexibilität hatte seine umfassende Profession zu sein, herausgestellt durch die Regie von Judith von Radetzky.
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Katja Amberger, die Protagonistin, ist zu Beginn noch ein Star in der Szene. Ihr pinkfarbenes Kleid ein gewollter Blickfang, ihr Selbstverständnis in dem sie ihre (unsichtbare, doch wunderbar angespielte) Umgebung reflektiert. Ihr Entschluss einen Schritt in die freie Natur zu tun, wurde ihr zum Verhängnis. Ausschluss und die Fülle der gesellschaftlich ausweglosen Wege brachen über sie herein. Nun, und plötzlich 50 Jahre alt und damit „alt“ und ins Unbenannte abgeschoben, kämpfte sie, glaubhaft dargestellt, mit sich.
Die anderen hatten sie längst in die buchhalterische (der Natur und Gebärfähigkeit nachfolgenden) Kategorie „abgeschrieben“ eingestuft. Noch schnell ein letztes Geschäft: Ein Coach verkaufte ihr ein paar Tipps, Psycho-Tipps um ihre Träume zu unterstützen, am Laufen zu halten. Doch wie lange hält so ein unreflektiertes Spiel? Die Vorstellungen einer Ausgeschlossenen. Und dann der 5. Akt, oder Showdown wie man heute sagen würde: Die Protagonistin hielt ihre Türe geschlossen. Unbewegt, ausgebrannt blieb Katja Amberger auf der Bühne zurück … desillusioniert.
Es war in der Inszenierung angelegt, der allgemein herrschenden Hysterie veranschaulichend Rechnung zu tragen. Die Hauptdarstellerin gab wieder, wie Frau das Gefühl für sich selbst längst verloren hat und in Mechanismen agiert, zum Reaktionskörper wurde. Die Generationen, welche noch Lebendigkeit erfahren haben und in dieser aufgewachsen sind, werden zunehmend ausgeschlossen. Die umfassend durchgesetzte Funktionalität hat keinen Platz mehr für menschliche Emotionen und vielfältige Vorstellungen vorgesehen. Lästig wirken diese und jeder unabhängig denkende, und sei es auch nur der Natur verbundene, Mensch „ist unbedingt als Störfaktor zu erfassen und zu eliminieren“. Tür zu! Tür auf: Ein Vorgang, der in der Gesellschaft mit einer enormen Konsequenz umgesetzt wird. Innerhalb der „Glaspaläste“ dürfen nur noch leere Mitmacher und Selbstausbeuter (ohne adäquate Entlohnung für ihre Leistungen) eingesetzt werden.
Die betriebswirtschaftlichen Vorgaben sind „ausnahmslos umzusetzen“. Der Sprachduktus der sogenannten Machthaber lässt weder Widerspruch noch Alternative zu. Es ist Zeit aufzuwachen im „Vierten Reich“, der Wirtschaftsdiktatur. Hier werden Frauen als willkommene und willfährige Mitmacherinnen aufgenommen, ist ihre Anpassungsfähigkeit naturgemäß größer als die der Männer. Unter der Fahne „Gleichberechtigung“, von der, betrachtet man die Realität und die Gehälter nur maximal viel geredet wird, werden diese rekrutiert. Das dem Militarismus entliehene Wort gehört zur Alltagssprache und ist Selbstverständnis im „Vierten Reich“.
„Es ist legitim, sich an einem Theaterabend über die menschliche Seite von Verlierern hähä VerliererInnen zu amüsieren. Noch dazu wenn die Inszenierung wirklich umfassend artifiziell war, worauf sicherlich heute größten Wert zu legen ist!“ So oder so ähnlich könnten die Gedanken des Zuschauers zwei Reihen vor meinem Sitzplatz gelautet haben. Es war ein großer Mann, sein Habitus drückte machtvolle erfolgsgewohnte Präsenz aus, sein Lachen trat deutlich hervor. Geschmunzelt und gelächelt habe ich auch immer wieder, denn es war ein besonderes Stück, eine ausgezeichnete Inszenierung und das Schauspiel wahre Kunst.
C.M.Meier

Ein Workshop-Erfahrungsbericht von Angela Eickhoff

Die Arbeitsweise von Judith von Radetzky

(nach der Etudenarbeit von A.Vassiliev/K. Stanislawski)

Ein Workshop-Erfahrungsbericht

Vor 2 Monaten habe ich einen Workshop mit Judith v. Radetzky besucht, weil mich ihr Flyer interessiert hat. Es klang nach tiefer schürfender Theaterarbeit, nach Neuem, nach Suchen, nach all dem, wozu man in der normalen Probenarbeit kaum Zeit hat.

Wir haben uns anhand des Shakespeare Stückes „Maß für Maß“ der Etuden- Arbeit von Stanislawski genähert. Diese spezielle Arbeit an einem Text, hat sich in der westeuropäischen Welt noch nicht so verbreitet, wie Stanislawskis andere „Methoden“ („The Method“), da er diese in seinen späten Jahren entwickelt hat, als der Eiserne Vorhang schon gefallen war.

Ich glaube, ich kann noch nicht zu Gänze sagen, was diese Arbeit alles beinhaltet, aber der Kern ist folgender:

Man unterteilt den Text/ die Szene in viele kleine Sinneinheiten und spielt diese Abschnitte erstmal lange mit eigenen Worten durch. Man weiß also, wer wann was zu sagen hat, aber man sagt es mit eigenen Bildern und Worten (ausgehend natürlich von der Erfahrungswelt der jeweiligen Figur und sich selber). Man kaut so lange an einem Bild herum, wie man möchte. Loopings sind erlaubt, alles was dazu dient, den Text mit eigenen Bildern anzureichern. Schrittweise wird dieses Improvisieren über den Text zurückgefahren, bis nur noch der eigentliche Text überbleibt, den man in einer Art und Weise verstanden, durchdrungen und sich zu eigen gemacht hat, wie es sonst im Theater nicht möglich ist. Am Ende kann man nur noch den eigentlichen Text sagen, weil er ein Konzentrat dessen ist, was man vorher entwickelt hat.

Das heißt, dass man in dieser improvisatorischen Arbeit sehr bei sich bleibt und von sich ausgeht. Natürlich hat man eine Figur vor Augen- in meinem Fall war das Isabella, eine Novizin, die erst alles Körperliche als Hindernis auf ihrem geistlichen Weg ablehnt und am Ende den Herzog heiraten wird, weil sie in ihrer Entwicklung lernt, dass auch die Verbindung zwischen Mann und Frau eine geistige Ebene öffnen kann.

Man gibt sich als Schauspieler preis, versteckt sich nicht hinter einer Rolle. Was in weiterer Folge auch bedeutet, dass man dem Zuschauer sich ganz anders preis gibt. Etwas sagt über sich, seinen Haltungen, Anschauungen.

Judith sagte einmal, Stanislawski hätte gesagt: Das Theater, ohne Gott, ist tot. Und interessanterweise kamen wir auch immer auf „höhere“ Themen zu sprechen, zu denen man irgendeine Haltung beziehen muss. Welche auch immer.

In diesem Sinne habe ich eine Arbeitsweise erlebt, die auf ganz andere Art gesellschaftliche Relevanz hat. Eigentlich etwas, was man sich immer vom Theater gewünscht hat, was aber im Alltagsprozess immer wieder versickert. Ein Theater, das Stellung bezieht, dadurch, dass Menschen auf der Bühne Stellung beziehen. Sehr spannend.

Die Probensituation sah so aus, dass wir morgens immer ein Training machten. D.h. Übungen, die die Sinne und Antennen des Menschen und Spielers auf die konkrete Arbeit vorbereiten- inhaltliche Vorübungen, Partner- und Gruppenübungen, Übungen, die die Etüdenarbeit verständlicher machen…

Danach gab´s eine Besprechung des jeweiligen Abschnitts mit Judith. Und dann haben sich die Partner zusammen auf die Szene vorbereitet.  Sehr hilfreich war, dass drei von den Teilnehmern schon länger mit der Arbeit vertraut waren und man so gut von dem Partner lernen konnte. Den Abschluss machte die eigentliche Etudenarbeit. Die Paare haben dabei selbst bestimmt, wann sie dazu bereit waren. Und los ging´s, ohne Netz und doppelten Boden.

Das hat mal super geklappt, mal gar nicht. Aber so ist das, wenn man Neues lernt. Ich denke, so ist das bei dieser Arbeitsweise generell. Weil sie eben so stark mit den Spielern verknüpft ist. Dann hängt der Erfolg plötzlich von allem ab: ob man bereit ist sich zu öffnen, zusammenspielt, bei Kräften ist, Lust hat/ Angst hat, sich Zeit nimmt, einlässt…

Diese Arbeit lernt man nicht in 8 Tagen (so lange ging der Workshop, den ich besucht habe). Aber ich habe eine Ahnung bekommen, was Theater sein und leisten kann. Und ich habe Dinge, Kniffe, gelernt, die mir in meiner jetzigen Theaterarbeit großartige Dienste leisten- Britta und ich haben dadurch für uns in unserem gemeinsamen Kinderstück „Die Prinzessin und das Küchenmädchen“ einen Durchbruch an einer Stelle erzielt, die nie richtig funktioniert hat- nach 5 Jahren Spielen desselben Stückes!-…

Also ich fand diese Arbeit sehr lohnenswert, sehr spannend. Ich will mehr davon. Und ich wünschte, dass sich die Theaterwelt bei uns mehr darauf einlässt. Dann haben wir nämlich wieder ein Theater, dass die Gesellschaft spiegeln kann, dass schockieren und wachrütteln kann, nicht durch blöde Provokation, sondern durch Haltung.

Angela Eickhoff

DIALOGE ZUR KUNST – Zuschauerkritik

Dialoge zur Kunst

am 12.12.2010

Ein kühnes Unternehmen, theoretische, wenn auch dialogisch gehaltene Texte zur Kunst in den Theater-Raum zu stellen. Und…es ist gelungen!

Sokrates und Ion fechten einen zähen Zweikampf aus. Am Ende kann man sich vorstellen, dass – wie man sich erzählt – Ion zu denen gehört, die Sokrates den Schierlingsbecher gereicht haben. Matthias Hörnke und Lars Jokubeit ziehen den Zuschauer ganz und gar in ihren Bann, lassen Gedanken Gestalt werden im Raum, lassen durch die Intensität des Spiels auf der Beziehungsebene kaum spürbar werden, dass Platons insistierende Mäeutik ziemlich entnervend ist.

An die Stelle des Goethe-Textes tritt – zum Glück – André Scioblowski mit einem inneren Monolog nach einer Erzählung des ungarischen Autors Kraznahorkai, an dessen Ende der Zuschauer mit der Figur in einem unerträglichen Gefühl von Fremdheit zu Boden geht, und das, nachdem er endlich eine einzige Tür in dieser Welt offen findet, die zu einer Ausstellung von Ikonen. Wie Kunst auch zerstörerisch sein kann, erlebt der Zuschauer in diesem Spiel von großer Intensität.

Beinahe abrupt und befreiend entführen Anja M. Korpiun und Stephan Fischer mit dem Dialog über das Marionettentheater in die Welt der Leichtigkeit und Anmut. Mit Charme und Witz vermitteln sie die Erkenntnis, „welche Unordnungen, in der natürlichen Grazie des Menschen, das Bewusstsein anrichtet.“ (Kleist) Da sie doch keine Marionetten sind: ob ihr Bewusstsein wohl durch ein Unendliches gegangen ist?

Die minimalistisch eingesetzten Klänge und Töne des Musikers Kamil Tchalaev rhythmisieren, pointieren und erzeugen durchgehend eine vibrierende Spannung.

Man möchte sehr vielen Zuschauern diesen schönen Kunstgenuss im gar nicht so fernen Wedding gönnen.

Marianne Geist

DIALOGE ZUR KUNST – Kritik (Neues Deutschland)

14.12.2010

SPIEGELFECHTEREI

Der Raum in den Uferstudios erinnert an ein Klassenzimmer: Neonlicht, hoch angebrachte Fenster, Linoleumboden. Die Zuschauer sitzen entlang der Wände auf Klappstühlen, lauschen und gucken. Und versuchen nicht den Anschluss zu verlieren, denn es sind schon harte Brocken, die Regisseurin Judith von Radetzky und ihr Graphit-Theaterlabor dem Publikum da zum (geistigen) Kauen vorgeworfen haben: Anhand dreier »Dialoge zur Kunst mit Klavier und Trompete« geht das Ensemble der Frage nach, ob es möglich ist, ein Künstler zu sein.

Eine eindeutige Antwort findet der Abend nicht, zumal schnell feststeht, dass hier nicht eine fertige Inszenierung gezeigt wird, sondern eine öffentliche Probe an der Grenze zwischen Improvisation und vorgegebener Struktur. Judith von Radetzky, deren Methodik geprägt ist von der russischen Schule der Etüde, sieht ihre Produktionen im steten Wandlungsprozess begriffen und setzt auf die Kraft des Austauschs zwischen Schauspielern und Publikum – hier begleitet von avantgardistischen Trompeten- und Klavierklängen des Musikers Kamil Tchalaev.

Ursprünglich sollten die »Dialoge zur Kunst« Texte von Platon, Goethe und Kleist beinhalten. Doch da Darsteller André Scioblowski aufgrund privater Probleme wenig Zeit zum Proben blieb, wurde der Goethe-Dialoge ersetzt durch einen wunderbaren Monolog aus László Krasznahorkais Novelle »Ein Mörder wird geboren«. Eine gute Entscheidung, denn der zwischen absurder Tragikkomik und bitterem Zynismus schwankende Text des ungarischen Autors scheint dem hoch gewachsenen Scioblowski wie auf den Leib geschrieben.

Zudem holt der Funken sprühende Monolog die Zuschauer aus der Starre, in die der lange Auftakttext von Platon sie versetzt hatte. In »Ion« lässt Platon den Philosophen Sokrates mit dem kindlich-selbstzufriedenen Vortragskünstler Ion darüber diskutieren, ob Ions rhetorische und schauspielerische Fertigkeit göttlich inspiriert sind. Die beiden Darsteller agieren großartig und genießen ihre intellektuelle Spiegelfechterei sichtlich, doch ist das Streitgespräch als Einstieg schlicht zu kompliziert. Trotzdem: Wie Sokrates, den Matthias Hörnke als geistig überlegenen Künstlertyp im grauen Sakko gibt, den philosophisch unbeleckten Ion – von Lars Jokubeit dargestellt als eitler Mitte-Yuppie mit Hang zum Posieren – mehr und mehr in die Enge treibt, ist ein wunderbares Beispiel für edle Streitkultur.

Der letzte der drei »Dialoge« stammt von Kleist, dessen Essay »Über das Marionettentheater« die Grundfrage variiert, ob Gefühl oder Vernunft das Verhalten des Menschen steuert. Unübersehbar erotisch aufgeladen ist die Begegnung zwischen dem »Vernunftmenschen« Stephan Maria Fischer und der schönen Anja Marlene Korpiun als Tänzerin in geschlitztem weißen Kleid, die in der Quintessenz mündet, dass sich wahre Perfektion »nur in einer Puppe oder einem Gott« manifestiere.

Zusammen ergeben die »Dialoge zur Kunst« anspruchsvolles Theater, ästhetisch dargeboten – und passen somit gut in die Uferstudios, die sich mehr und mehr zu einer Tanz- und Theaterstätte außerhalb typischer Schubladenzuordnung entwickeln.

Anouk Meyer

LOUISE MILLERIN / Neues Deutschland-Kritik

25.02.2010
STURM UND DRANG IM THEATERLABOR
Friedrich Schillers »Louise Millerin« wurde minimalistisch und kraftvoll am Ballhaus Ost inszeniert

Zwei Stühle und drei halbtransparente Stellwände, mehr Bühnenbild ist nicht. Während das Deutsche Theater die Protagonisten in Schillers »Kabale und Liebe« in und an einem hölzernen Kasten mit unzähligen Türen herumturnen lässt, herrscht bei der Inszenierung des selben Stücks im Ballhaus Ost Minimalismus pur. Unter dem ursprünglichen Titel »Louise Millerin« erzählt Regisseurin Judith von Radetzky den Klassiker als leidenschaftliches Sturm- und Drangstück mit komischen Momenten.
Mit dem 4. Stock des Ballhaus’ Ost, wo es keine Bühne gibt und kein Podest, sondern die Schauspieler direkt vor den Zuschauern agieren, haben sich Judith von Radetzky und ihr Graphit-Theaterlabor für einen intimen Rahmen entschieden, der kaum Abstand zulässt. Umso intensiver wirkt das kraftvolle, körperbetonte Spiel der Darsteller, die gute drei Stunden lang die abgewetzten Dielen mit energischen Schritten, verliebtem Getänzel, Freudensprüngen und hasserfülltem Kampf zum Knarren bringen.
»Maximale Lebendigkeit und Wahrhaftigkeit des Spiels« strebt die Truppe an, die sich als Labor im eigentlichen Sinne versteht: Gründliche Recherchen und langes Experimentieren während der Proben gingen der Aufführung voraus, die durchaus weitere Änderungen erfahren kann – jede Vorstellung soll die aktuelle Entwicklungsphase zeigen.
Das klingt recht trocken, doch dieser Vorwurf wäre ungerecht. Ganz im Gegenteil, hat die Schauspielerin und Regisseurin Judith von Radetzky mit »Louise Millerin« ein temporeiches, szenisch gut durchdachtes und originelles Bühnenstück inszeniert, das geschickt mit den Mitteln sowohl der Ironie und Übertreibung spielt als auch mit Kontrasten und Brüchen. So sind Frisuren, Kleidung und Gestik der Darsteller ganz von heute, während Schillers Sprache unverändert bleibt.
Man merkt den acht Darstellern an, dass sie sich im Schillerschen Duktus zu Hause fühlen. Frisch und wie improvisiert wirken die ab und zu eingestreuten Anspielungen auf aktuelle Ereignisse – so darf Hofmarschall von Kalb seinen Reitunfall auf die »wieder nicht gestreuten Wege« zurückführen, und um Louise unter Druck zu setzen, wird ihr Vater kurzerhand wegen Steuerhinterziehung eingekerkert.
Felix Würgler spielt diesen Vater, einen angesehenen Stadtmusiker, mit gesunder Skepsis und aufbrausendem Temperament seiner schwatzhaften Frau (Anja Fliess) gegenüber. Theresa Sophie Albert gibt die Titel gebende Bürgerstochter Louise als naive Blondine mit festem Charakter. Die Liebe zwischen ihr und dem Adeligen Ferdinand stürzt sie in heftige Gefühlswallungen und birgt Vorahnungen von drohendem Unheil.
Verkörpert wird dieses durch ein intrigantes Trio, das aus unterschiedlichen Gründen eine Heirat zwischen Louise und Ferdinand verhindern will: André Scioblowski als berechnend-fieser Sekretarius Wurm, Lars Jokubeit als Hofmarschall mit Musterknaben-Scheitel und der großartige Stephan Maria Fischer als machtgieriger, mit allen Wassern gewaschener Präsident, der seinen Sohn mit der herzoglichen Mätresse Lady Milford verheiraten will.
Ein egozentrischer, sehr von sich überzeugter Geck mit Freddy-Mercury-Schnurrbart, Panamahut und weißem Seidenschal ist Kai Arne Janssens Ferdinand, während Anja Marlene Korpiun eine ebenso eitle wie leidenschaftlichüberdrehte Lady Milford abgibt. Die Szene, in der die brünette Schönheit im pfirsichfarbenen Seidenanzug Ferdinand ihren Lebensweg schildert und beide zu Tränen gerührt sind von ihrer Tapferkeit und Güte, gehört zu den Höhepunkten des Stücks.
Hie und da hat die 3-Stunden-Produktion ihre Längen, doch wie das kleine Ensemble es hinbekommen hat, das biedere Trauerspiel aus dem Deutschunterricht zu entstauben und ihm Witz und Komik zu entlocken, ist wirklich sehenswert.

Anouk Meyer
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LOUISE MILLERIN / Landesvertretung-Kritik

28.02.2010
Herzlichen Glückwunsch zu Louise Millerin! Ich habe die Aufführung gestern gesehen und war begeistert von der Balance aus Werktreue und Aktualisierung und von der Fülle an großen und kleinen Regie-Ideen begeistert. Herzlichen Dank und alles Gute für weitere Projekte!
Tim Arnold
Leiter der Landesvertretung
Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen beim Bund
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LOUISE MILLERIN / Kultiversum-Kritik

09.02.2010

MUT ZUM PATHOS

Keine fertige Produktion, sondern ein «Arbeitsmodell» wird an diesem dreieinhalbstündigen Premierenabend im Ballhaus Ost vorgestellt. «Louise Millerin» hat Regisseurin Judith von Radetzky ihr Arbeitsmodell genannt; der Originaltitel von «Kabale und Liebe» soll darauf verweisen,

dass die gelernte Schauspielerin und ihre Theatergruppe «graphit theaterlabor» den vielgespielten Schiller-Text weder gekürzt noch anderweitig daran herumgedoktert haben: bis ins Detail wird historisch informiert gesprochen, statt «Ähm» oder «Tja» sagen Radetzkys Schiller-Figuren «Hum» oder «Hem-Hem».

Die Bühne in der vierten Etage des Ballhaus Ost ist karg gehalten; lediglich ein paar Stühle haben die Schauspieler, um sich daran festzuhalten oder sich manchmal kurz darauf auszuruhen. Mehrere Monate haben sie in dieses «Arbeitsmodell» investiert, und das merkt man. Mit viel Mut zum Pathos leben sie in ihren Figuren: Ferdinand ist – seinem Vater, dem intriganten Präsidenten, nicht unähnlich – ein begnadeter Showmaster mit einer fatalen Neigung zu peinlich-enthusiastischen Tanzeinlagen; Lady

Milford eine nahe am Wasser gebaute, dunkel gelockte Sirene, die Leidenschaft aus ungehemmter Selbstbezogenheit schöpft; und Louise Millerin, die Titelfigur des Abends, eine kleine, energische Kassandra, auf die mal wieder keiner hört, obwohl sich ja eigentlich alles um sie dreht.

Gebrochen wird der energiegeladene Duktus des Abends gelegentlich durch meist umgangssprachlich improvisierte Passagen, während derer die Schauspieler Einblick in ihre persönliche Annäherung an ihre Figur gewähren. Manche dieser Passagen sind bereichernd, auf andere hätte man lieber verzichtet. Denn nicht alle Spieler finden aus der Selbstreferentialität schnell wieder in eine unmanirierte Beschäftigung mit dem Schiller-Text. Doch immer dann, wenn das gelingt, sind die folgenden Szenen von einer intensiven Lebendigkeit erfüllt.

Sophie Diesselhorst

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