LOUISE MILLERIN / Neues Deutschland-Kritik

25.02.2010
STURM UND DRANG IM THEATERLABOR
Friedrich Schillers »Louise Millerin« wurde minimalistisch und kraftvoll am Ballhaus Ost inszeniert

Zwei Stühle und drei halbtransparente Stellwände, mehr Bühnenbild ist nicht. Während das Deutsche Theater die Protagonisten in Schillers »Kabale und Liebe« in und an einem hölzernen Kasten mit unzähligen Türen herumturnen lässt, herrscht bei der Inszenierung des selben Stücks im Ballhaus Ost Minimalismus pur. Unter dem ursprünglichen Titel »Louise Millerin« erzählt Regisseurin Judith von Radetzky den Klassiker als leidenschaftliches Sturm- und Drangstück mit komischen Momenten.
Mit dem 4. Stock des Ballhaus’ Ost, wo es keine Bühne gibt und kein Podest, sondern die Schauspieler direkt vor den Zuschauern agieren, haben sich Judith von Radetzky und ihr Graphit-Theaterlabor für einen intimen Rahmen entschieden, der kaum Abstand zulässt. Umso intensiver wirkt das kraftvolle, körperbetonte Spiel der Darsteller, die gute drei Stunden lang die abgewetzten Dielen mit energischen Schritten, verliebtem Getänzel, Freudensprüngen und hasserfülltem Kampf zum Knarren bringen.
»Maximale Lebendigkeit und Wahrhaftigkeit des Spiels« strebt die Truppe an, die sich als Labor im eigentlichen Sinne versteht: Gründliche Recherchen und langes Experimentieren während der Proben gingen der Aufführung voraus, die durchaus weitere Änderungen erfahren kann – jede Vorstellung soll die aktuelle Entwicklungsphase zeigen.
Das klingt recht trocken, doch dieser Vorwurf wäre ungerecht. Ganz im Gegenteil, hat die Schauspielerin und Regisseurin Judith von Radetzky mit »Louise Millerin« ein temporeiches, szenisch gut durchdachtes und originelles Bühnenstück inszeniert, das geschickt mit den Mitteln sowohl der Ironie und Übertreibung spielt als auch mit Kontrasten und Brüchen. So sind Frisuren, Kleidung und Gestik der Darsteller ganz von heute, während Schillers Sprache unverändert bleibt.
Man merkt den acht Darstellern an, dass sie sich im Schillerschen Duktus zu Hause fühlen. Frisch und wie improvisiert wirken die ab und zu eingestreuten Anspielungen auf aktuelle Ereignisse – so darf Hofmarschall von Kalb seinen Reitunfall auf die »wieder nicht gestreuten Wege« zurückführen, und um Louise unter Druck zu setzen, wird ihr Vater kurzerhand wegen Steuerhinterziehung eingekerkert.
Felix Würgler spielt diesen Vater, einen angesehenen Stadtmusiker, mit gesunder Skepsis und aufbrausendem Temperament seiner schwatzhaften Frau (Anja Fliess) gegenüber. Theresa Sophie Albert gibt die Titel gebende Bürgerstochter Louise als naive Blondine mit festem Charakter. Die Liebe zwischen ihr und dem Adeligen Ferdinand stürzt sie in heftige Gefühlswallungen und birgt Vorahnungen von drohendem Unheil.
Verkörpert wird dieses durch ein intrigantes Trio, das aus unterschiedlichen Gründen eine Heirat zwischen Louise und Ferdinand verhindern will: André Scioblowski als berechnend-fieser Sekretarius Wurm, Lars Jokubeit als Hofmarschall mit Musterknaben-Scheitel und der großartige Stephan Maria Fischer als machtgieriger, mit allen Wassern gewaschener Präsident, der seinen Sohn mit der herzoglichen Mätresse Lady Milford verheiraten will.
Ein egozentrischer, sehr von sich überzeugter Geck mit Freddy-Mercury-Schnurrbart, Panamahut und weißem Seidenschal ist Kai Arne Janssens Ferdinand, während Anja Marlene Korpiun eine ebenso eitle wie leidenschaftlichüberdrehte Lady Milford abgibt. Die Szene, in der die brünette Schönheit im pfirsichfarbenen Seidenanzug Ferdinand ihren Lebensweg schildert und beide zu Tränen gerührt sind von ihrer Tapferkeit und Güte, gehört zu den Höhepunkten des Stücks.
Hie und da hat die 3-Stunden-Produktion ihre Längen, doch wie das kleine Ensemble es hinbekommen hat, das biedere Trauerspiel aus dem Deutschunterricht zu entstauben und ihm Witz und Komik zu entlocken, ist wirklich sehenswert.

Anouk Meyer
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