Ein Workshop-Erfahrungsbericht von Angela Eickhoff

Die Arbeitsweise von Judith von Radetzky

(nach der Etudenarbeit von A.Vassiliev/K. Stanislawski)

Ein Workshop-Erfahrungsbericht

Vor 2 Monaten habe ich einen Workshop mit Judith v. Radetzky besucht, weil mich ihr Flyer interessiert hat. Es klang nach tiefer schürfender Theaterarbeit, nach Neuem, nach Suchen, nach all dem, wozu man in der normalen Probenarbeit kaum Zeit hat.

Wir haben uns anhand des Shakespeare Stückes „Maß für Maß“ der Etuden- Arbeit von Stanislawski genähert. Diese spezielle Arbeit an einem Text, hat sich in der westeuropäischen Welt noch nicht so verbreitet, wie Stanislawskis andere „Methoden“ („The Method“), da er diese in seinen späten Jahren entwickelt hat, als der Eiserne Vorhang schon gefallen war.

Ich glaube, ich kann noch nicht zu Gänze sagen, was diese Arbeit alles beinhaltet, aber der Kern ist folgender:

Man unterteilt den Text/ die Szene in viele kleine Sinneinheiten und spielt diese Abschnitte erstmal lange mit eigenen Worten durch. Man weiß also, wer wann was zu sagen hat, aber man sagt es mit eigenen Bildern und Worten (ausgehend natürlich von der Erfahrungswelt der jeweiligen Figur und sich selber). Man kaut so lange an einem Bild herum, wie man möchte. Loopings sind erlaubt, alles was dazu dient, den Text mit eigenen Bildern anzureichern. Schrittweise wird dieses Improvisieren über den Text zurückgefahren, bis nur noch der eigentliche Text überbleibt, den man in einer Art und Weise verstanden, durchdrungen und sich zu eigen gemacht hat, wie es sonst im Theater nicht möglich ist. Am Ende kann man nur noch den eigentlichen Text sagen, weil er ein Konzentrat dessen ist, was man vorher entwickelt hat.

Das heißt, dass man in dieser improvisatorischen Arbeit sehr bei sich bleibt und von sich ausgeht. Natürlich hat man eine Figur vor Augen- in meinem Fall war das Isabella, eine Novizin, die erst alles Körperliche als Hindernis auf ihrem geistlichen Weg ablehnt und am Ende den Herzog heiraten wird, weil sie in ihrer Entwicklung lernt, dass auch die Verbindung zwischen Mann und Frau eine geistige Ebene öffnen kann.

Man gibt sich als Schauspieler preis, versteckt sich nicht hinter einer Rolle. Was in weiterer Folge auch bedeutet, dass man dem Zuschauer sich ganz anders preis gibt. Etwas sagt über sich, seinen Haltungen, Anschauungen.

Judith sagte einmal, Stanislawski hätte gesagt: Das Theater, ohne Gott, ist tot. Und interessanterweise kamen wir auch immer auf „höhere“ Themen zu sprechen, zu denen man irgendeine Haltung beziehen muss. Welche auch immer.

In diesem Sinne habe ich eine Arbeitsweise erlebt, die auf ganz andere Art gesellschaftliche Relevanz hat. Eigentlich etwas, was man sich immer vom Theater gewünscht hat, was aber im Alltagsprozess immer wieder versickert. Ein Theater, das Stellung bezieht, dadurch, dass Menschen auf der Bühne Stellung beziehen. Sehr spannend.

Die Probensituation sah so aus, dass wir morgens immer ein Training machten. D.h. Übungen, die die Sinne und Antennen des Menschen und Spielers auf die konkrete Arbeit vorbereiten- inhaltliche Vorübungen, Partner- und Gruppenübungen, Übungen, die die Etüdenarbeit verständlicher machen…

Danach gab´s eine Besprechung des jeweiligen Abschnitts mit Judith. Und dann haben sich die Partner zusammen auf die Szene vorbereitet.  Sehr hilfreich war, dass drei von den Teilnehmern schon länger mit der Arbeit vertraut waren und man so gut von dem Partner lernen konnte. Den Abschluss machte die eigentliche Etudenarbeit. Die Paare haben dabei selbst bestimmt, wann sie dazu bereit waren. Und los ging´s, ohne Netz und doppelten Boden.

Das hat mal super geklappt, mal gar nicht. Aber so ist das, wenn man Neues lernt. Ich denke, so ist das bei dieser Arbeitsweise generell. Weil sie eben so stark mit den Spielern verknüpft ist. Dann hängt der Erfolg plötzlich von allem ab: ob man bereit ist sich zu öffnen, zusammenspielt, bei Kräften ist, Lust hat/ Angst hat, sich Zeit nimmt, einlässt…

Diese Arbeit lernt man nicht in 8 Tagen (so lange ging der Workshop, den ich besucht habe). Aber ich habe eine Ahnung bekommen, was Theater sein und leisten kann. Und ich habe Dinge, Kniffe, gelernt, die mir in meiner jetzigen Theaterarbeit großartige Dienste leisten- Britta und ich haben dadurch für uns in unserem gemeinsamen Kinderstück „Die Prinzessin und das Küchenmädchen“ einen Durchbruch an einer Stelle erzielt, die nie richtig funktioniert hat- nach 5 Jahren Spielen desselben Stückes!-…

Also ich fand diese Arbeit sehr lohnenswert, sehr spannend. Ich will mehr davon. Und ich wünschte, dass sich die Theaterwelt bei uns mehr darauf einlässt. Dann haben wir nämlich wieder ein Theater, dass die Gesellschaft spiegeln kann, dass schockieren und wachrütteln kann, nicht durch blöde Provokation, sondern durch Haltung.

Angela Eickhoff

Referenz Seminar Shakespeare

Slam-Dialoge mit Shakespeares „Maß für Maß“

Eine achttägige intensive Fortbildung für Schauspieler, unter der Leitung der Regisseurin Judith von Radetzky (Foto oben)  im März 2012

von Susanne Meyer/ Teilnehmerin

Slam-Dialoge mit Shakespeares Stück“ Maß für Maß“!? Was mag das sein? Geht das überhaupt?

Lässt sich das Werk dieses Genies wirklich auf diese Art bearbeiten?

Es geht! Und wie! Ich habe es selbst während eines achttägigen Seminars im März ausprobiert.

Und wie? Die Kunst ist: Sorgfältige Vorbereitung/Begleitung durch die Regisseurin Judith von

Radetzky und das Sich-Einlassen auf den Moment. Ein dreiteiliger Aufbau des Seminars

– Körpertraining, Textanalyse, Spiel auf der Probebühne inkl. Feedback – hilft dabei, das Instrument

des Schauspielers zu stimmen. Am Beispiel der Dialogszene zwischen Isabella und Angelo im 2. Akt

wurde der Text mit eigenen Worten erarbeitet, wurden die großen, ewig gültigen Fragen der

Menschheit behandelt und der Sinn des Textes geschmeidig gemacht. Auf der Bühne wurde dann mit

eigenen Worten das Spiel gestaltet.

Dabei führt das Schaffen aus dem Nichts, die Improvisation, das Weitertreiben des Dialogs mit den

eigenen sprachlich-körperlichen Mitteln zu der wunderbaren Erkenntnis: Auch ohne den Original-

Text zu benützen, schafft man es, dem Sinn des Stückes Leben zu geben. Das wirklich

Herausfordernde selbst für einen professionellen Künstler ist das Sich-Abkoppeln vom Ursprungstext,

das Ringen um den eigenen authentischen Ausdruck und das Sich-Einlassen auf eine völlig

ungeplante Spielsituation, die erst im Moment entsteht.

Ohne konzentrierte, engagierte Arbeit aller Beteiligtenwäre das nicht möglich gewesen, aber es hat

den acht Künstlern auch sehr viel Spaß gemacht und den Kopf „umgerührt“! Fortsetzung folgt!

(Nächstes Seminar: Slam-Dialoge mit Shakespeares „Maß für Maß“ vom 21.6. bis 30.6.2012)

Foto: Stefan Klüter

Slam Dialoge mit Shakespeare 2012

Slam – Dialoge mit Shakespeares  „Maß für Maß“    

Seminar:  vom 21.6. bis 28.6. 2012

Leitung Judith von Radetzky

„Der Mensch ist die Kraft, die er spielt. Der Mensch ist die Kraft, die ihn spielt.“ (Judith v.Radetzky)

Streitbar, poetisch, bewegend, lebend – Shakespeare improvisiert! Maß für Maß ist eine Auseinandersetzung über die Tödlichkeit verabsolutierter Ideale. Ein Stoff, der hart am Rande des Todes seine Lektion heiter erteilt.

Slam-Dialoge heißt, wir entwickeln unsere Fähigkeit wie Fechter in der Luft zu agieren; auf dem Boden eines klaren Verständnisses der Entwicklung einer Szene. Wir wollen anhand von Shakespeares Stück unser Potential zu modernen und eigenständig denkenden Künstlern entfalten.Was haben wir zu sagen, was empört uns, wie positionieren wir uns in Zeiten der ständig wachsenden Radikalisierung um uns herum?  Der moderne Schauspieler hat eine künstlerische und  menschliche Verantwortung, er sollte in der Lage sein, seine individuellen Positionen und Ziele zu formulieren, anzusteuern, sie, sich und seine Seele sichtbar zu machen. Aber wie?

Slam-Dialoge helfen uns zu erlernen wie man Rolle und Thema erforschen kann und eigene Standpunkte findet; wir spielen keine Charaktere, hinter denen wir uns verstecken, sondern agieren aus unserer menschlichen Präsenz heraus entlang der Linie der Rolle ohne Klischees oder Verstellung. Eine vertiefende Handlungsanalyse und ein energetisierendes Training helfen dabei dem thematischem Nukleus und der verborgenen Handlung von Shakespeare auf die Spur zu kommen.

Normalerweise sind wir es gewohnt einen Text zu nehmen und ihn auswendig zu lernen. Man schaut wie man ihn „umsetzen“ kann. Der Text gibt uns Halt. In unserer Probenarbeit entziehen wir diesen Halt. Wir slamen.

Hierzulande weitgehend unbekannte und geheime Arbeitsmethoden der russischen Schule werden von Judith von Radetzky vermittelt.

* Zitat von Paul Klee


Dieses Seminar ist ein gegenseitiges Auswahlseminar und die Basis für eine weitere Zusammenarbeit zwischen Schauspielern und Spielleitung. Slam-Dialoge werden im September 2012 fortgesetzt. Ziel ist in 2013  improvisierte Shakespeare Monologe und Dialoge einer interessierten Öffentlichkeit zu präsentieren. Desweiteren ist eine Produktion für Sommer 2013 geplant. Diese Planung hängt allerdings ab von einer gesicherten Finanzierung.

Leitung: Judith von Radetzky

Zeit: 21. Juni bis 28. Juni  jeweils 10 – 16 Uhr, 8 Tage

Kosten: 350 .- für Gutverdiener (ab 1400.-/ Jahresdurchschnitt)

280.- für Einkommen unter 1400.-/Jahresduchschnitt),

150.- für Hartz IV Empfänger   / Nachweis erforderlich

Mitglieder der GVL können dieses Seminar zur Förderung einreichen.

Ort: wird bei Buchung bekanntgegeben

Anmeldung: mit CV an info@graphit-berlin.de

Die notwendigen Vorbereitungsarbeit wird 2 Wochen vor dem Seminar bekannt gegeben

Für weitere Fragen sich bitte wenden an 030 8249288

Judith von Radetzky  studierte von 2004 bis 2008 Regie unter Anatolij Vassiliev in Lyon an der école nationale supérieure ENSATT. Seit 1983 arbeitet sie als Schauspielerin an zahlreichen Theatern (Basel, Konstanz, Zürich, Stuttgart usw.) sowie in verschiedenen Film -und Fernsehproduktionen. Seit 2004 unterschiedliche Inszenierungen, u.a. Undine geht von Ingeborg Bachmann, Sommertheater Rosslau,2004; Platon/Phaidros-Magritte, eingeladen zum Festival in Avignon 2008; Louise Millerin von Friedrich Schiller am Ballhaus Ost in Berlin Februar 2010; Dialoge zu Kunst. Goethe.Platon.Kleist, öffentliche Proben in den Uferstudios, im Dezember 2010; Über das Marionettentheater in der Nikodemus Kirche und als Gastspiel in Hamburg im Mai 2011. Herbst 2011 Dreharbeiten zu Polizeiruf 110.

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Schonzeit fürs Publikum – kleine Erzählung

Zeitdokumente – Ansichten im Wandel der Zeit

Er war schon zu alt, um sie zu verlassen. Der andere zu gehemmt, der dritte zu frei, aber in Wirklichkeit unentschieden. So war es wahrscheinlich, psychologisch gesehen. In der Psychologie gibt es immer gute Gründe. Klare Gründe. Erklärbare Gründe, Gründe der Gründe.

Sie selbst war beleibt und schon lebensmüde, doch immer noch konnte ein Funken in ihr wahrgenommen werden, der nicht zu erlöschen schien. Sie akzeptierte diese sonderbare Konstellation, ja  staunte mitunter, dass vier Menschen sich so  treu waren. Sie war es gewohnt seit vielen Jahren allein zu leben, der Treue war sie nicht gerade begegnet.

Alle vier hatten sich zusammengefunden, weil sie das Theater liebten. Und weil sie nicht einverstanden waren mit fast allem, was sich um sie herum so als Theater ausgab. Man könnte sagen, gerade sie als Leiterin des kleinen Ensembles war dumm, dreist und arrogant.  Wenn man alles fast ohne Ausnahme um sich herum als Jahrmarktsbudenzauber ansieht, kann der Fehler nur im Auge des Betrachters liegen: soviel Irrtum gibt es nicht.

Und so zweifelte sie an ihrer eigenen Wahrnehmung. Sie arbeitete an sich! Um die eigene Arroganz zu überwinden. Doch kaum hatte sie wieder einmal einen Theaterabend voller Hoffnung besucht, schon verfiel sie in den alten Unmut.

Was war geschehen?  „Laut, unsensibel krachend, kreischend“ oder „ganz und gar im Realismus des 19. Jahrhunderts gefangen“- das waren die Ergebnisse ihrer Analyse. Im 19. Jahrhundert? Ja, denn da erfanden und entwickelten sensible Autoren und Theatermacher die feinen psychologischen Spielweisen, die das Innere des Menschen sezierten. Aber Brecht? Ja, sein gesellschaftskritischer Ansatz findet sich zu Hauf in den modernen Theatern, aber ohne Menschen. Oder es findet gar kein Theater mehr statt, narrativ ohne Konflikt und Spannung, rein assoziativ schwimmt man in den Phantasien kleiner Spießer mit…..Spießer, die sich natürlich als Avantgarde ausgeben. Warum Spießer? Weil es erfahrungsgemäß der Spießer ist, dem es an Mut mangelt, und der jeden Konflikt vermeidet, versteckt, verschleiert, und wenn es hinter der postmodernen, de – konstruierenden laut bellenden Maske der Erneuerung des Theaters  geschieht. Immer dasselbe, ewig dasselbe. Nein-  einer brüllte den Schmerz hinaus, solange bis er selbst unter ihm zerbrach. Er fühlte Unrecht direkt. Alle applaudieren dem sich selbst gewählten Opfergang – und fühlten sich erleichtert. Ein Christus der Theaterkunst.

Fazit: unendliche Schonzeit für den Zuschauer.

Wo ist der Schmerz? Was ist der Schmerz?

Wenn sie es sich genau überlegte, gab sie sich jedesmal am Ende eines solchen Unmutausbruchs recht. Etwas fehlt auf deutschen Bühnen, etwas, was vorgegeben wird ununterbrochen da zu sein:

Das Fragen stellen.

Wir fragen uns zu Tode. Aber  nicht um uns wieder zu beleben! Wahrscheinlich ist es da, genau an dieser Schnittstelle, wo sich ihr Bruch mit dem deutschen Theater vollzieht: Das Bekannte ist der Tod –  das Leben unergründlich.

Nun kann man einen Roman darüber schreiben wie ein Mensch sich außerhalb aller gesellschaftlichen Übereinkunft stellt. Wie er einsam wird, ein tragischer Verlauf, einzig  weil er an das Leben glaubt. In der Theaterkunst.

Das ist so lächerlich wie nur irgendetwas lächerlich sein kann. Außerdem muß man nun ersteinmal definieren, was das denn sein soll- das Leben in der Kunst, hört sich an wie ein altbackener Titel von Stanislawski. Und außerdem sollte denn der Kunst-und Theaterbertrieb tatsächlich so arrogant sein, dass er andere Ansätze nicht verträgt?  Neulich hörte sie von einem Genforscher, der feststellte, das die Gene durch den Lauf des Lebens wandelbar sind: sie sind zwar der chemische Einfluss dessen, was wir sein können, aber was wir werden hängt nicht von ihnen, sondern vom  kulturelle Einfluss ab. Eine Erkenntnis, die die gesamte Genforschung ad absurdum führt, denn hier geht es ja gerade um die Festlegung, um das Ausgeliefertsein, darum wissenschaftlich-operativ Schicksal zu spielen. Einseitigkeit des Denkens. Diese revolutionäre Nachricht verschwindet unter vielen. Der Genforschungsindustrie kann es nur recht sein!  Keiner kann mehr wichtiges von weniger wichtigem unterscheiden. Unterscheidungsblindheit. Unendlich sich selbst potenzierendes Meinungsspiegelkabinett. Auch im Theater. Längst ist der Darsteller tot, das Theater ein Leichnam, aber ein Gebrüll um diese Tatsache herum als ob es nicht so wäre.

Da ist er also wieder der Tod. Der Tod der Festlegung.

Also Fragen stellen. Aber welche? So viele Probleme gibt es auf der ganzen Welt. Warum nur ist noch niemandem aufgefallen, dass sie alle, wirklich alle selbst gemacht sind. Sie kann es nicht verstehen. Es ist doch so offensichtlich. Und wenn es so ist, warum redet darüber niemand? Im Theater. Wo ist die gedanklich-spielerische Revolution?

In der Tat, das Theater ist der Spiegel der Gesellschaft geworden. Wie ein kranker Hund schleicht es sich um die Eingangspforte des gesellschaftlichen Lebens herum, der Patient kann kaum noch atmen, hält mit schwachen Pfoten sein Spiegelchen: schaut wie schlimm alles ist. Hechelt den Tagesnachrichten hinterher. Ob das wohl so gemeint war bei Hamlet, fragt sie sich?

Ja, das sind komplexe Themen, die lassen sich eben nicht so schnell mal wegwischen. Der Tod der Festlegung. Auch Schmerz ist eine Festlegung, eine Sichtweise. Tatsächlich, wenn es kein Ich gibt, dass sich mit einem Schmerz identifiziert, ist der Schmerz nicht mehr Schmerz, sondern etwas anderes. Ein Geheimnis. Ein Schlüssel. Ein Erstaunen. Ein Mysterium.

Oh je, ein Geheimnis! In diesem geheimnislosen modernen Leben? Ohne Geheimnis: das ist auch eine Festlegung. Und heißt nichts anderes als dass es hinter dem Offensichtlichen nichts zu entdecken gibt. Wir können alles beschreiben, auch unser Unterbewusstes, unsere Sublimierungen, wir haben alles unter Kontrolle. Wir wissen, dass wir manchmal gewalttätig sind, oder besser meistens, dass wir gerne essen und trinken und Sex haben. Die Psychologie erklärt uns alles. Politische Gesellschaftsmodelle ebenso.Wir kennen uns!

…. und kann das Theater (noch) gewichtige inhaltlich-gesellschaftliche Impulse setzen?  …trotz alledem…um das unergründliche Geheimnis des Lebens herum…?

 

AUSSTELLUNG – Stephan Maria Fischer

Stephan Maria Fischer, seit drei Jahren Ensemblemitglied bei Graphit, ist im Zweitberuf Maler und Grafiker mit abgeschlossenem Kunststudium. Neben seiner Haupttätigkeit als Schauspieler hat er seine  Malerei über die Jahre  gepflegt und weiterentwickelt.

Eine Auswahl seiner Arbeiten aus den letzten zwanzig Jahren ist jetzt im Amtsgericht Köpenick, Mandrellaplatz 6 zu sehen. Da sich die Bilder in geschlossenen Räumen befinden und der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind, bietet der Künstler an, Interessenten durch die Ausstellung zu führen.

Anfragen,  auch bei Kaufinteresse, bitte unter  Tel.: 030/53011323 oder E-Mail: stephanmariafischer@web.de. Außerdem nimmt der Maler Aufträge für Porträts oder andere Motive entgegen und betätigt sich als Buchillustrator. Hier finden sie eine Auswahl seiner Bilder.

Lebendigkeit

„Überall ist man nur da wahrhaft lebendig, wo man Neues schafft – überall, wo man sich ganz sicher fühlt,

hat der Zustand schon etwas Verdächtiges, denn da weiß man etwas gewiß,

also etwas, das schon da ist, wird nur gehandhabt, wird wiederholt angewendet.

Dies ist eine halbtote Lebendigkeit. Überall da, wo man ungewiß ist, aber den Drang fühlt und die

Ahnung hat zu und von etwas Schönem, welches dargestellt werden muß, da wo man also

sucht, da ist man wahrhaft lebendig.“

Karl Friedrich Schinkel

DIALOGE ZUR KUNST – Fotos

Vom 11.-18. Dezember 2010 fanden fünf öffentliche Proben in den Uferstudios in Berlin-Wedding statt.

Platon – Ion

László Krasznahorkai – Ein Mörder wird geboren

Heinrich von Kleist – Über das Marionettenthetater

Regie Judith von Radetzky

Musik Kamil Tchalaev

Aufführung Platons Ion

Es spielen

Mathias Hörnke und Lars Jokubeit (Platon)

André Scioblowski (Krasznahorkai)

Stephan Maria Fischer und Anja Marlene Korpiun (Kleis)

 

DREI SCHWESTERN – FRAGMENTE (2011)

Drei Schwestern – Fragmente
Anton Tschechow

Im Frühjahr 2011 fand ein treffen zum Thema „Theater als Musik“ mit dem russischen Musiker Kamil Tchalaev statt. Darin wurden die Möglichkeiten für Musikalität in Sprache, Form und Dramaturgie gesucht. Anschließend vermittelte Judith von Radetzky die Spielweise in der sogenannten psychologischen Struktur in einem zweiten Treffen, die Mitglieder von Graphit e.V. forschten an Monologen, Szenen und Dialogen aus Anton Tschechows „Drei Schwestern“.  Schließlich wurden beide Ansätze verschmolzen. Das Ergebnis dieser Arbeit wurde in einer öffentlichen Probe in Berlin präsentiert.

Dokumentationen zu Drei Schwestern – Fragmente“:       

FOTOS       

Inhalt

Heimatlos. Wir sind ohne Zweifel aus  paradiesischen Zuständen verstoßen. Oder haben uns selbst daraus verstoßen. Wir sind in der Fremde – alle. Heimatlose Wanderer, ob wir es wollen oder nicht. So werden wir uns immer nach dem sehnen, was wir gerade nicht haben.
Die drei Schwestern stehen für eine außergewöhnliche Lebenshaltung: auch die schlimmsten äußeren Umstände können sie nicht unterkrigen. Ihre Sehnsucht nach einem besseren Leben bleibt. Sie sind Künstler im Sinne von Beuys: eine Null – Situation erdrückt sie nicht, sondern spornt sie an zu Kreativität.
Der Ansatz von Judith von Radetzky zu den Drei Schwestern bleibt nicht bei drei frustrierten Provinzmädchen stecken. Das Stück ist in seiner Komposition so fugal, komplex und vielschichtig, dass  die allgemeine Deutung, es handele sich um „Szenen aus einem Leben in der Provinz“ schon durch die Struktur des Stückes widerlegt ist….es sei denn, nichts hat Bedeutung – auch nicht eine komplexe Struktur.
Die Arbeit im Frühjahr 2011 war ganz darauf gerichtet, den Schauspielern die Vertikale der Rollen zu vermitteln durch u.a. eine intensive Monologarbeit, die anschließend in der Nikodemuskirche präsentiert wurde.

Regie   Judith von Radetzky

Musik   Kamil Tchalaev

Darsteller

Stephan Maria Fischer (Tschebutykin)

André Scioblowski (Tusenbach)

Lars Jokubeit (Andrej)

Anja Marlene Korpiun (Olga)

Über das Marionettentheater (2011)

Über das Marionettentheater
Heinrich von Kleist

Über das Marionettentheater wurde im Dezember 2010 in den Uferstudios als öffentliche Probe präsentiert und im Frühjahr 2011 weiterentwickelt. Der russische Musiker Kamil Tchalaev entwickelte den kleinen Dialog zu einem Sprech-Klangwerk auf der Basis der bereits durch die Schauspieler und die Regie erarbeiteten Handlungslinie.  Fremdheit und Paradoxie des gedanklichen Spiels von Kleist wurden dadurch betont und sichtbar, fühlbar gemacht für die Zuschauer. Das Ergebnis dieser weiteren Recherchearbeit wurde wieder in Berlin und auch in Hamburg als öffentliche Probe gezeigt.

Inhalt

Ein Tänzer, größter Star der Ballettszene und hochgelobt, sucht etwas wahrhaft Menschliches bei den Marionetten und ihrem Tanz, als Zuschauer sieht man ihn immer wieder auf dem Marktplatz einer kleinen Stadt, wo die kleine Bühne aufgeschlagen ist. Ein anderer, Kenner und Freund des Balletts, beobachtet ihn dabei. Er will ihn zur Rede stellen, ihm seine Motive entlocken, er kann nicht verstehen, was ein solcher Meister hier zu suchen hat. So erfährt er, dass jener Meister die tanzende Kunst an ihrem Ende angelangt sieht, für ihn existiert sie nicht mehr- im Gegensatz zur Kunst des Marionettenspiels. Der Meister führt ihn in ein Labyrinth phantastischer Experimente, denen sich der Freund des Balletts schließlich  mit keinem Argument, mit keiner bisherigen Erkenntnis, mit keinem noch so ausgeklügelten Gedanken, mehr entziehen kann… Für den Meistertänzer hat ein mechanisches Gebilde mehr Grazie als ein Mensch es je erlangen kann.
Ein tiefsinnig-ironisches Plädoyer für den Künstler als ein utopisches Genie, für einen „vollkommenen“ Spieler oder Tänzer, der sein geweitetes Bewusstsein gepaart mit Können dem Publikum zur Verfügung stellt.

Es spielen Anja Marlene Korpiun, Stephan Maria Fischer

Regie  Judith von Radetzky

Musik  Kamil Tchalaev

Zeit  öffentliche Probe, 08.05.11 um 11:15 Uhr

Ort  Nikodemus, Nansenstr.12/13, 12047 Berlin-Neukölln

Die Kunst des psychologischen Spiels anhand der DREI SCHWESTERN von A.Cechov

Ein Spiel, das sich in der Seele des Spielers entfaltet. Wie entsteht eine wirkliche, innere, seelische Bewegung, die nicht aus dem Kopf, der Ratio oder einem vorher festgelegtem Konzept kommt, wodurch wird sie angestoßen? Durch das Ausgangsereignis eines Stückes. Es funktioniert wie ein Trampolin. Wenn wir lernen, eine Situation zu verstehen und dann konfliktreiche Umstände für unsere Rolle und das Stück geschickt auszuwählen, werden wir diesen Impuls, der weder chaotisch ist noch beliebig, für uns entdecken können. Aber wie wähle ich aus? Was sind meine Kriterien?

In diesem Treffen vermittelt Judith von Radetzky anhand von A. Tschechovs modernem Klassiker die Grundlagen des psychologischen Spiels, das seinen methodischen Ursprung in der russischen Schule hat.